Sonntag, 11. November 2018

Nachlese

"Es fehlt etwas." meinte Rosa, nachdem sie "Ende" gelesen hatte. Was denn? "Na deine Veränderung durch die Reise."

Erst das Einfache:
Dänemark ist das Land der Radler, Norwegen das Land der grandiosen Landschaft, Schweden das Land der Flüsse und Seen, Deutschland das Land der fantastischen Fachwerkstädte.In allen Ländern wird Landschaft durch Industrie und Verkehr zerstört. Norwegen und Schweden haben das Glück, dass sie so groß sind. Da fällt es nicht auf. Aber die großen Städte wie Oslo, Trondheim, Helsingborg und Kopenhagen stehen, was Hässlichkeit, Kälte und Landschaftsverbrauch der Vorstädte angeht, den deutschen nicht nach. Der entscheidende Unterschied ist die viel dichtere Besiedelung Deutschlands: nur deshalb fährt man hier von einer Suburb in die nächste. In der Begrenzung des privaten KFZ-Verkehrs sind Norwegen und Dänemark konsequent, während Deutschland immer noch die freie Fahrt für freie Bürger hoch hält.

Das sind Beobachtungen, die mich sehr beschäftigen. Und sonst?

Dann das Schwierige:
Ich war schon viele Tage zuhause angekommen, als mir klar wurde: ich war ein Vierteljahr nahezu vollständig im Freien, Tag und Nacht. Das hat mich glücklich gemacht. Die Fülle an Licht spielt dabei eine große Rolle. Das weiß ich von den Bergwanderungen, besonders bei Sonne und Schnee.

Ich bin süchtig nach dem süßen Nichtstun geworden. Die Morgen- und Abendstunden vor dem Zelt erlebe ich immer noch jeden Tag neu: die Ruhe und der Frieden, der in mir entsteht, wenn ich einfach nur da sitze. All die Aufgeregtheiten, die per Post, Radio und Internet auf mich einstürmen: brauche ich sie? Was wollen die Absender von mir? Ist das wirklich nötig? Warum diese Aufgeregtheiten? Macht mich das "besinnungslos"?

Mehr denn jeh stellt sich mir nach der Reise  die Frage: Was macht mich glücklich? Johan Turi beschreibt das Leben der Samen Ende des 19.Jahrhundets1). Das war für uns unvorstellbar hart und entbehrungsreich. Trotzdem wollten die Samen ihre Art zu leben nicht ändern. Offenbar waren sie glücklich damit. Heute brauchen auch sie Arctic cat, Fernseher, Radio etc2). Sind sie deshalb glücklicher?

Schon im einsamen Binntal habe ich gelernt, dass die Tafel Schokolade und und das Glas Wein am Abend das widernatürliche Leben in unserer Zivilisation kompensiert. Wir leiden unter der Entfremdung. Ständig im Freien zu sein, sich viel zu bewegen, mit der Sonne ins Bett zu gehen und auch wieder aufzustehen macht so glücklich, dass ich keine Schokolade und kein Glas Wein brauche. Das einfache Essen und der Pulverkaffee sind Köstlichkeiten. Das war auf dieser Tour genau so wie im Binntal. Auf dem Rad habe ich mich außerdem noch freier gefühlt als in den Bergen. Und diese Freiheit macht mich süchtig nach dem Radeln.

Rosa meinte schon immer, ich sei ein Minimalist. Nach der Tour bin ich mir noch sicherer, dass all das, was man in unserer Gesellschaft meint für sein Glück zu brauchen, meinem Glück eher im Wege steht als es zu fördern. Das einfache Leben macht glücklich. Wie Rosas Oma sagt: Nicht das Einkommen sondern das Auskommen ist entscheidend.


1) Juhan Turi: "Erzählung von dem Leben der Lappen"  1910 Herausgegeben von Emilie Demant, aus dem Dänischen überstezt von Mathilde Mann, Klett-Cotta Stuttgart/Otava Helsinki 1982

2)Peter Ramseier "näkkälä" Dokumentarfilm, DVD 88 min, T&C Film AG 2005, 26 €
An der Straße nach Näkkälä habe ich eine Nacht gezeltet.

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